Bei der aktuellen Diskussion um das "Skandal-Spiel von Düsseldorf" (ohne Worte) fällt mir ein Begriff immer wieder besonders auf. Todesangst. Die Hertha-Spieler wollten nach dem vorzeitigen Platzsturm der Fortuna-Fans nicht zurück auf's Spielfeld, weil sie "Todesangst" hatten. Ich wage das zu bezweifeln. Und gerade weil es mir vorgeschoben erscheint, finde ich es noch erschreckender, wie leichtfertig ein solches Wort verwendet wird.
Als ich im Dezember 2011 in Bochum beim DFB-Pokalspiel gegen Bayern München im Bochumer Gästeblock stand – da hatte ich Angst. Aber das hatte nichts mit den Fans zu tun, die waren nicht gewaltbereit. Im Gegenteil, die waren sehr charmant. (Vorallem nachdem ich im Gedränge meinen Freund verloren hatte und fast das gesamte Spiel allein verbrachte.) Beängstigend fand ich an diesem Abend die Organisation im Stadion und der Ordner. Als wir um 18:45 Uhr, 15 Minuten vor Anpfiff, am Eingang des Gästeblocks ankamen, war ein Reinkommen nicht mehr möglich. Die einzige Treppe, die in den Block führt, war komplett überfüllt. Menschen, die auf der Treppe schon weit genug oben waren, zogen sich am seitlichen Geländer der Reihen hoch in den Block – Bilder, die mich, ohne zu übertreiben, an die Loveparade in Duisburg erinnerten.
Dass der Bochumer Gästeblock winzig klein und notorisch überfüllt ist, ist bekannt. Dass gerade das für viele seinen Charme ausmacht, auch. Als ich das letzte Mal mit Leverkusen beim Bundesliga-Auswärtsspiel in Bochum war, war es eng, aber nicht zu eng, nicht beängstigend eng. Das würde schon passen (literally), dachte ich mir, aber ich hatte die Bayern-Fans unterschätzt. Beim Pokalspiel der Bayern in Bochum wurde mir vor Augen geführt, wie klein unsere Fanszene in Leverkusen doch ist.
Das Schockierendste an diesem Abend war für mich, dass die Ordner kapituliert und nach eigener Aussage eines Ordners mit dem ich mich vor dem Block unterhalten habe, das Innere des Gästeblocks verlassen haben. Der gesamte Block war also sich selbst überlassen ohne einen einzigen Ordner. Wieviel so ein Ordner im Ernstfall im Block auszurichten vermag ist sicherlich fragwürdig, aber die Tatsache, dass da niemand mehr war, um auch nur den Schein von Sicherheit zu wahren, fand ich sehr erschreckend. Die Karten wurden auch schon längst nicht mehr kontrolliert, aber bei nur zwei Ordnern vor dem Block angesichts der hereindrängenden Menschen auch quasi unmöglich. Was auch der Grund für die Überfüllung war – Bayern-Fans mit Karten für benachbarte Blöcke konnten unkontrolliert in den Gästeblock umziehen. Natürlich ist auch dieses Reinholen Usus in jedem Stadion, in Leverkusen genauso, aber in Bochum war es meiner Meinung nach an dem Punkt, wo einem der gesunde Menschenverstand davon abraten sollte. Aber auch hier frage ich mich, ob ich aufgrund Leverkusener Umstände vielleicht einfach nur verweichlicht bin?
Als ich am ergangenen Dienstag die Bilder aus der Esprit-Arena im Fernsehen sah (das Stadion und vorallem die Altstadt habe ich bewusst gemieden), hab ich mich vor allem eins gefragt: Wie haben es die Berliner geschafft so viel Pyro ins Stadion zu schmuggeln? Und warum sind die Ordner nicht in der Lage einen frühzeitigen Platzsturm der Düsseldorfer zu verhindern?
Ich bin wahrlich kein Gegner von Pyrotechnik, aber Bengalos sind nicht zum Werfen gedacht und wer das macht ist dumm und gefährdet andere. Nur glaube ich – leider –, dass es schwieriger ist junge Fans von der Pyro-Faszination loszubekommen, als die Stadionsicherheit so zu verschärfen, dass die mit dem Kram einfach nicht mehr reinkommen. Aber wie kann dann sowas wie am Dienstag passieren? Ich kann hier nur von Leverkusen sprechen, aber habe den Eindruck, dass es überall ähnlich ist: die Anforderungen, die an einen Ordner gestellt werden sind gering bis nicht vorhanden. Es wird scheiße bezahlt, man muss drei Stunden vor Spielbeginn da sein, es ist mega langweilig – wer will es einem Ordner verübeln, dass da Verantwortung und Pflichtgefühl dem Job und den Zuschauern und Fans gegenüber zu wünschen übrig lassen. Gerade, wenn doch in 9 von 10 Fällen nichts passiert. Aber auch die körperliche und gesundheitliche Verfassung (soweit man das von seinem Platz im Stadion beurteilen kann) einiger Ordner ist mitunter erschreckend und man fragt sich, wie so ein Einschreiten der Ordner im Ernstfall aussehen soll.
Nur ist man beim Ruf nach höheren Qualitätsstandards bei der Stadionsicherheit schnell bei der üblichen Frage. Wer soll das bezahlen? Wenn ich für'n Zehner meinen Steher im Stadion sicher hab, kann ich nicht auch noch Sicherheit erwarten.
Die Düsseldorfer werden nicht müde zu betonen, dass der Platzsturm beim Relegationsspiel ein friedlicher war, und das glaube ich auch. Bloß weiß man sowas vorher nicht, man sieht es den Fans nicht an, ob sie friedlich oder gewaltbereit sind ("Ein Familienvater und einer, der nicht aussah wie ein Familienvater"). Und bei einem möglichen 2:3 der Berliner in der Nachspielzeit hätte die Stimmung bei den bereits an der Seitenlinie versammelten Fortuna-Fans auch schnell kippen können. Wie bereits beim Einsatz von Pyrotechnik angesprochen halte ich es für aussichtlos bei den Fans anzusetzen zielführender bei den Stadien und Sicherheitsdiensten anzusetzen, auch wenn die Fans die Kosten dafür tragen müssen. Ich zahle gerne ein paar Euro mehr, um meine Sicherheit in die Hände von Menschen zu geben, die darauf auch Bock haben und sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Und wenn mein kleiner Bruder die erhöhten Ticketpreise nicht bezahlen kann, dann helfe ich ihm halt aus. Um ihn mache ich mir nämlich auch immer Sorgen, wenn er ohne mich in den Stadien dieser Welt unterwegs ist.